Neben der Verantwortung der Eltern und der Migration spielt die Ideologie, diese Geißel unserer Zeit, ebenfalls wieder eine nicht unbedeutende, fatale Rolle.
Aus dem Text:
Da ist es, das böse Wort: „Defizit“. Wenn Sie heute einen Pädagogen richtig derb beschimpfen wollen, werfen Sie ihm „Defizitorientierung“ vor und bezeichnen Sie verpflichtende Lerneinheiten als „übergriffig“. Seit den frühen 2000er Jahren hat sich nämlich die „neue Kindheitspädagogik“ durchgesetzt, deren Neusprech den Himmel auf Erden verhieß: „Ressourcenorientierung“, „von den Stärken ausgehen“, „Selbstbildung“, „kindzentriert“ und „Teilhabe“ sind Schlagworte, mit deren Hilfe man jeden Widerspruch in die Ecke der schwarzen Pädagogik stellt. „Defizitorientierung“ ist das Totschlagargument gegenüber allen, die das Fehlende hinter einem Fehler verstehen möchten, um einem Kind zielgerichtet zu helfen. Zum Beispiel mit Sprachscreenings.
Nur in der Pädagogik ist es in Verruf geraten, Fehler zu betrachten, um anschließend das Fehlende aufzubauen. Man hat Angst, dass Menschen als Gesamtperson verachtet werden, sobald man ihre Fehler benennt. Doch das ist eine Frage der Haltung, die sich durch Naivität nur verschleiern lässt, nicht verhindern. Man kann ein Kind nicht gezielt anleiten, ohne zu wissen, was es noch nicht kann.
Aber das macht nichts, denn Führung und Anleitung durch Erwachsene lehnt die neue Kindheitspädagogik ebenfalls ab. Stattdessen ist nun „Selbstbildung“ angesagt. „Selbstbildung“ steht für den naiven Glauben, dass Kinder alles mit links lernen können, und zwar ohne Orientierung an objektiven Zielen und ohne beharrliche Ermutigung, sich ihren Schwächen zu stellen. Ihre triebhafte Neugier allein reiche dazu aus und würde sich gegen Geltungsdrang, Bequemlichkeit, Unwissenheit und mangelnde Weitsicht durchsetzen.
Die Erzieherinnen bitten mich später, ihnen in der Supervision beizubringen, wie man solche Tischgespräche führt. Es ist jedoch fraglich, ob ihre Vorgesetzte das gestattet. Sie besteht nämlich darauf, dass die Kinder über jede Aktivität abstimmen und alle Themen selbst wählen. Das nennt sich „demokratische Erziehung“ und steht in den Leitlinien des Trägers. Auch könnte es als „seelische Gewalt“ interpretiert werden, einem Kind, das andere nicht ausreden lässt, den Mund zu verbieten.