"Das olympische Dragqueen-Abendmahl von Paris verspottet Christen. Hätte man den Mut auch für die Satire auf einen gewissen Propheten gehabt?
Das IOK und Frankreich haben im Namen Olympias nicht nur die Menschen gespalten. Sie haben an den Grundfesten des Westens gesägt, die ihnen überhaupt ermöglichen, Andersgläubige zu verspotten.
Vielleicht hätten sich das IOK und Frankreich, die für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Paris verantwortlich zeichnen, an Giulio Andreotti erinnern sollen. Denn der wusste noch, dass ein Dementi bedeutet, eine Nachricht zweimal zu verbreiten. Ähnliches ist nun bei der Eröffnung der Olympischen Spiele geschehen. Niemand hätte vergangene Woche an der Seine eine Erinnerung an längst verkündete biblische Botschaften erwartet, schon gar nicht einen prominenten Werbespot für das zentrale Glaubensgeheimnis der katholischen Kirche, das Sakrament der Eucharistie. Aber die Persiflage des letzten Abendmahls durch Dragqueens und ein Transgender-Model hat gezeigt, dass man selbst in der Herzkammer des Laizismus am Christentum immer noch nicht vorbeikommt.
Dass den Katholiken von den religiös interessierten Veranstaltern der Vorzug gegeben wurde, dürfte damit zusammenhängen, dass Anhänger gewisser Propheten sich für eine unerwünschte Form der Glaubensverkündigung mutmasslich mit dem Niederbrennen ganzer Quartiere bedankt hätten. Bei den Christen, deren Gründer sich noch am Kreuz verspotten liess, war solches nicht zu befürchten. Und in der Tat: Die französischen Bischöfe, einst glühende Verfechter von Blasphemiegesetzen, sind durch die Französische Revolution und das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahr 1905 geläutert. Sie haben cool reagiert und einfach zutiefst bedauert, dass das Christentum verspottet und verhöhnt worden sei. Denn inzwischen haben sie ihren Voltaire gelernt, der in seiner Toleranzschrift an die alte römische Maxime erinnerte: «Beleidigungen, die den Göttern widerfahren, müssen die Götter rächen» – und eben nur diese. Dank dem Gratis-Mut des IOK und von Macrons Leuten kommt es also nicht zum Aufstand, der Polizeikräfte binden würde, die anderweitig dringend gebraucht werden.
Die politischen Implikationen der Freakshow
Gleichwohl fragt man sich, was das IOK und Frankreich geritten hat, ohne Not Religion und Sport so prominent und so problematisch zu vermischen. Denn die Olympioniken von 2024 sind dadurch nicht nur mit ihren eigenen Grundsätzen in Konflikt geraten. Die Freakshow von Paris hat auch politische Implikationen.
Im erwähnten Trennungsgesetz heisst es vom französischen Staat, er anerkenne keine Religion. Kurioserweise kennt Frankreich immerhin die Religionen, zumindest dann, wenn es darum geht, sie vor der Weltöffentlichkeit zu demütigen. Wie soll zukünftig der Staat in der religiös explosiven Lage Frankreichs als ehrlicher Makler auftreten, wenn er sich religionspolitisch so zwiespältig verhält?
In der olympischen Charta heisst es, Ziel des Olympismus sei es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern. Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen sei mit der Zugehörigkeit zur olympischen Bewegung unvereinbar. Nun war es bekanntlich um die sittliche Integrität der IOK-Funktionäre schon seit längerem nicht zum Besten bestellt. Solange es jedoch nur um Korruption ging, konnte man dem Treiben mit Kopfschütteln zuschauen. Wenn nun aber entgegen den eigenen Regeln seitens des IOK religiös diskriminiert wird, um sich mit einem PR-
Stunt beim Wokeismus anzudienen, wird der olympische Gedanke selbst zur Satire.
Aber es geht um mehr: Dem IOK und auch dem indirekt gegen Russland Krieg führenden Frankreich muss zu denken geben, wenn Putins Reich den olympischen Woke-Steilpass dankbar aufnimmt, um damit im Westen zu spalten und zu versuchen, vom freiheitlichen Staat enttäuschte Christen auf die eigene Seite zu ziehen. So liess sich die russisch-orthodoxe Kirche, ein Büro der putinschen PR-Abteilung, postwendend mit dem besorgten Kommentar vernehmen: «Ein kulturell-historischer Selbstmord geht in einer der einst christlichen Hauptstädte der europäischen Zivilisation vor sich.» Auch hier ist die olympische LGBTIQ-Satire ein Bumerang, der ihre Urheber trifft: Antidemokratische Despoten betrauern den Untergang der westlichen Freiheitskultur. Und die Grande Nation bietet ihnen dafür ein Podium.
Der Ständestaat der LGBTIQ-Community
Gefährlich sind die olympischen Zauberlehrlinge jedoch letztlich aus einem anderen Grund. Im vorliegenden Kontext kann man es sinnigerweise mit einem Franzosen erklären. Der Liberale Benjamin Constant hielt in seinem monumentalen Religionswerk im Jahr 1825 den Aufklärungsphilosophen des 18. Jahrhunderts vor, antike Religionen wie die ägyptische und die indische nur deshalb gelobt zu haben, um das Christentum demütigen zu können. Um die christlichen Priester zu schmähen, habe man Loblieder auf die Brahmanen gesungen. Voltaire und Konsorten hätten dem Evangelium, das sie schlecht gekannt hätten, die Veden vorgezogen, von denen sie überhaupt keine Ahnung gehabt hätten. Das sei, so Constant, jedoch nicht bloss ein historischer Irrtum gewesen, sondern ein realpolitisch gefährlicher. Denn in Tat und Wahrheit seien die antiken Religionen despotisch gewesen. Sie in ignoranter Form hervorzuholen und zum Modell zu erklären, bedeute deshalb, dem zeitgenössischen Despotismus zuzuarbeiten. Gemeint war damit die Restauration im Frankreich von Ludwig XVIII. und Karl X., die das Ancien Régime wieder auferstehen lassen wollten.
Ein ähnliches Muster kann man im aktuellen Zusammenhang erkennen: Das Christentum, das zu den geistigen Grundlagen der freien westlichen Welt gehört, wurde in Paris mithilfe der philosophisch-gnostischen Theoreme der woken LGBTIQ-Gedankenwelt lächerlich gemacht. Diese Theorien sind nicht nur widerchristlich, sondern fallen auch hinter die Gesellschaft der Freien und Gleichen zurück, weil sie wieder eine Art von Ständestaat implementieren wollen. Denn nicht mehr das Individuum zählt, sondern die Gruppe, sei sie weiss, schwarz, männlich, weiblich oder queer. Das IOK und Frankreich haben deshalb im Namen Olympias nicht nur die Menschen gespalten, anstatt sie zu einen. Sie haben an den Grundfesten des Westens gesägt, die ihnen überhaupt ermöglichen, Andersgläubige zu verspotten. Der geschmähte Jesus hätte dazu wohl gesagt: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.»
Vielleicht hätte es zur Vermeidung des Schusses ins eigene Knie statt Andreotti auch der gute alte Chesterton getan, der bemerkte: «Lästerung ist nicht toll. Lästerung ist ihrer Natur nach prosaisch. Sie betrachtet in alltäglicher Weise etwas, das andere und glücklichere Menschen hingerissen und poetisch betrachten.»
Martin Grichting war Generalvikar des Bistums Chur und beschäftigt sich publizistisch mit philosophischen sowie theologischen Fragen. Zuletzt von ihm erschienen: «Religion des Bürgers statt Zivilreligion. Zur Vereinbarkeit von Pluralismus und Glaube im Anschluss an Tocqueville». Schwabe-Verlag, Basel 2024. 107 S., Fr. 23.–.
Da kann man sich ja nun einfach machen und diesen Beitrag als vorhersehbar abtun.. immerhin handelt es sich bei Martin Grichting ja um katholischen Geistlichen aber unrecht hat er hier dennoch nicht.