Anbei mal das ganze Welt-Interview.
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WELT: Eine Befragung unter 150 Volontären des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kam zuletzt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Demnach würden fast 60 Prozent der Volontäre die Grünen wählen, 25 Prozent die Linke. Bei den Nachwuchsjournalisten würde die Union an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Sie haben in einem Artikel geschrieben, das habe Sie nicht überrascht. Wieso?
Christian Pieter Hoffmann: Die Studienlage ist ziemlich eindeutig. Die große Mehrheit der Journalisten – die Zahlen variieren ein bisschen, mal sind es zwei Drittel, mal sind es 70 bis 80 Prozent – steht nach eigenen Angaben links der Mitte. Bei den Volontären betrachten wir zudem eher junge Leute, die ohnehin mehrheitlich nach links tendieren.
WELT: Inwieweit wirkt sich diese Tendenz auf die Berichterstattung aus?
Hoffmann: Das ist in der Forschung deutlich strittiger. Es gibt unterschiedliche Studienergebnisse. Das liegt auch daran, dass der inhaltliche Bias auch unterschiedlich gemessen werden kann. Es gibt zum Beispiel Studien, die untersuchen, wie oft Repräsentanten bestimmter Parteien oder zivilgesellschaftlicher Verbände interviewt oder zu Sendungen eingeladen werden. Bei Talkshows sehen wir zum Beispiel, dass Grünen-Politiker in Relation zur Parteistärke im aktuellen Bundestag überproportional oft eingeladen werden. Einige würden daraus einen Vorwurf ableiten. Andere würden sagen: Die Redaktionen richten sich natürlich auch nach aktuellen Umfragen, in denen die Grünen eben mittlerweile mit der Union gleichgezogen haben.
WELT: Was sind andere Kriterien, um einen Bias zu messen?
Hoffmann: Manche Studien analysieren etwa die Sprache von Berichten. Da wird geschaut, ob eher eine aus linken oder konservativen Zusammenhängen bekannte Terminologie verwendet wird. Oder man schaut sich die Themensetzung an: Worüber wird berichtet, worüber nicht? Außerdem kann man sich einzelne Themen herausnehmen und dort in die Tiefe gehen: Wie wird etwa über den Klimawandel berichtet oder über Migration? Das ist häufig am aussagekräftigsten. Und bei genau dieser Betrachtung zeigen Studien auch mitunter am deutlichsten einen inhaltlich linken Bias der Medien.
WELT: Diversität im Journalismus ist ein Dauerthema. Wie wichtig ist eine heterogene Zusammensetzung in Redaktionen?
Hoffmann: Man kann argumentieren, dass Menschen mit einem bestimmten sozioökonomischen Hintergrund häufig auch bestimmte politische Haltungen aufweisen. Wenn man also eine Vielfalt der Perspektiven in einer Redaktion will, ist es nicht völlig falsch, auf soziodemografische Faktoren zu achten, wie etwa Bildung, Alter, Geschlecht. Die Zusammensetzung von Redaktionen ist ein ganz wichtiger Faktor mit Blick auf den inhaltlichen Bias in der Berichterstattung. Denn der Journalismus hat professionelle Mechanismen, um Ausgewogenheit herzustellen: Dazu gehören zum Beispiel auch die Redaktionssitzungen, das Mehraugenprinzip und die Kontrolle unter Kollegen.
WELT: Und wenn die Zusammensetzung der Redaktion zu homogen ist, funktionieren die Mechanismen nicht?
Hoffmann: Wenn in einem Berufsfeld oder innerhalb einer Redaktion eine Art Monokultur entsteht, dann wirken sie zumindest weniger gut. Wenn alle, die auf einen Text schauen, sprichwörtlich dieselbe Brille auf der Nase haben, ist es wahrscheinlich, dass Dinge durchrutschen, die Menschen mit einer anderen Perspektive als fragwürdig beurteilen würden.
WELT: Wenn 85 Prozent der Volontäre links der Mitte stehen und eine Volkspartei wie die Union völlig unterrepräsentiert ist: Steuert man dann nicht genau in diese Richtung?
Hoffmann: Dass ein Berufsfeld leicht in die eine oder andere politische Richtung verschoben ist, ist grundsätzlich nicht problematisch. Die Homogenität des Berufsbildes ist aber schon ein Thema. Wäre die besagte Umfrage repräsentativ und würde sich an der Einstellung der Volontäre bis zu ihrem Berufseinstieg nichts mehr ändern, wäre das in der Tat problematisch. Denn dann würden wir wirklich eine Monokultur sehen. Es würde an Widerspruch fehlen, wenn alle gleich ticken. Ich würde dazu raten, die Umfrage nicht überzubewerten. Aber ich würde es davon unabhängig doch als Gefahr sehen, wenn die politischen Perspektiven im Berufsfeld zu ähnlich, also zu homogen sind.
WELT: Man liest häufig, der ökonomische Anreiz, in den Journalismus zu gehen, sei mittlerweile so gering, dass sich konservative oder liberal gestimmte Menschen oft für einen anderen Berufsweg entscheiden. Stimmt das?
Hoffmann: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, die eine bürgerliche politische Einstellung haben, mehr Wert auf materielle Sicherheit legen. Deshalb vermeiden sie einen inzwischen leider oft prekären Beruf wie Journalismus eher. Auf der anderen Seite zeigen Untersuchungen, dass Menschen, die eher links orientiert sind, eine höhere subjektive Befriedigung aus politischem Engagement ziehen. Und das macht einen Job, in dem man auf die öffentliche Agenda Einfluss nimmt, vielleicht sogar Politik beeinflussen kann, für linksorientierte Menschen umso attraktiver.
WELT: Inwieweit beeinflusst Social Media aus Ihrer Sicht die Wahrnehmung von Journalismus? Man hat ja mitunter schon das Gefühl, dass sich Journalisten, die in ihren Beiträgen den Anspruch der Objektivität hochhalten, hier teilweise sehr klar positionieren. Was macht das mit den Medienkonsumenten?
Hoffmann: Ich habe den Eindruck, dass Social Media häufig entlarvend wirkt. Hier haben wir die Möglichkeit, sehr genau zu beobachten, wie Journalisten sich verhalten. Dann zeigt sich auf einmal etwas, das man vorher eher bloß vermutet hat. Verstärkend kommt hinzu, dass Journalisten, die eine klare politische Haltung aufweisen, in sozialen Medien überdurchschnittlich aktiv sind. Die Unzufriedenheit mit der Berichterstattung, die unter Konservativen schon vor dem Social-Media-Zeitalter ausgeprägter war, wie Studien zeigen, nimmt so weiter zu.
WELT: Geraten Medien da nicht aus zwei Seiten unter Druck? Einerseits will man unbedingt jüngere Zielgruppen erreichen, was oft durch launige und meinungsstarke Beiträge in den sozialen Medien passiert. Andererseits riskiert man dadurch, dass sich das ältere Stammpublikum abwendet – insbesondere die Konservativen.
Hoffmann: Wir wissen aus Studien, dass jüngere Menschen eher nach links tendieren und mit dem Alter konservativer werden. Deshalb ist es logisch, dass Formate, die sich an ein junges Publikum wenden, eher diese Ausrichtung aufweisen. Ein Spannungsverhältnis entsteht dadurch, dass gerade ein akademisch gebildetes Publikum heutzutage von Medien insgesamt eine klare Haltung fordert. Wenn sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk darauf versteifen würde, so objektiv wie möglich zu sein – in Großbritannien geht etwa derzeit die Tendenz dahin –, wäre das junge, urbane Publikum wohl eher unzufrieden. Und genau dieses Milieu ist eben sehr meinungsbildend. Es sind genau diese Menschen, die bei Twitter immer wieder eine große Meinungsmacht ausüben.
WELT: Eine Gruppe, die sehr viel öffentlichen Druck aufbauen kann.
Hoffmann: Ja, auch das ist eine Gefahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diesem bringt es wenig, ein älteres unpolitischeres Publikum durch einen hohen Grad an Ausgewogenheit zu beeindrucken, wenn die jungen engagierten, die sich eine Stimme verschaffen, den Rundfunk kritisieren und öffentlich angreifen. Das führt zu der Frage, auf welcher Seite die Öffentlich-Rechtlichen eher Legitimität sichern wollen. Das zeigt sich ja beispielsweise an Diskussionen wie um die Initiative „Klima vor 8“.
WELT: Eine von jungen Aktivisten geforderte tägliche Sendung zum Klimawandel.
Hoffmann: Von diesem jungen Publikum werden aktivistische Forderungen gestellt, ein solches Format zu etablieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk geht – meiner Meinung nach – aus nachvollziehbaren Gründen bislang nicht darauf ein. Aber für das entsprechend motivierte Publikum ist das natürlich nicht zufriedenstellend.
WELT: Wird Journalismus aktivistischer?
Hoffmann: In den USA ist das deutlicher als in Deutschland. Dort fordern viele Experten eine Verabschiedung vom Wert der Ausgewogenheit. Das „bothsidesism“ oder auch „false balance“, wie es dort heißt, steht in der Kritik. Diese neue Haltung wird unter dem Begriff „moral clarity“ diskutiert. Auch in Deutschland hat die Diskussion um sogenannten „Haltungsjournalismus“ begonnen. Ich sehe hier schon einen neuen Trend. Das beobachten wir in der Journalismusausbildung ebenso wie in der Forschung. Die Folge wird sein, dass die jüngeren Generationen der Berufseinsteiger eine größere Distanz zum Thema Ausgewogenheit und Neutralität aufweisen. Sie sehen einen größeren Wert darin, Partei für eine gute Sache zu ergreifen.
WELT: Lässt sich das schon in bestimmten Bereichen nachweisen?
Hoffmann: Vor allem bei identitätsstiftenden Themen wie Klimawandel und Migration. Die Studienlage zu diesen Themen – etwa bei der Betrachtung der Berichterstattung über Fukushima oder die Flüchtlingskrise – zeigt, dass gerade zu Beginn der Ereignisse ein Bias in der Berichterstattung zu beobachten war. Direkt nach der Naturkatastrophe in Fukushima kamen so etwa besonders oft Befürworter des Atomausstiegs zu Wort. Zu Beginn der Flüchtlingskrise wurde besonders positiv über die Willkommenskultur berichtet.
WELT: Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung kam da 2017 zu einem ziemlich vernichtenden Fazit. Es hieß darin, große Teile der Journalisten hätten in der Flüchtlingskrise ihre Rolle verkannt und die aufklärerische Funktion der Medien vernachlässigt.
Hoffmann: Mit der Zeit hat sich das dann wieder eingependelt. Doch aus der Sicht vieler Medienkonsumenten war das Kind dann schon in den Brunnen gefallen. Konservative schauen auf diese Berichterstattung und sagen: Das ist alles völlig einseitig. Und auch wenn einige Wochen später dann doch die Kontrollmechanismen des Journalismus greifen und ausgewogener berichtet wird, ist die Reaktanz schon da. Der Blick auf Medienberichterstattung ist häufig sehr von Momenten geprägt, in denen der Bias besonders groß war.
WELT: Erkennen Sie in der Corona-Berichterstattung ein ähnliches Muster?
Hoffmann: Ja. Studien der Kollegen aus Münster und Passau haben gezeigt, dass zu Beginn der Corona-Pandemie bei ARD und ZDF relativ unkritisch und regierungsnah berichtet wurde. Der Mechanismus war ähnlich: Es passiert etwas Erschütterndes, man sucht Orientierung, und der erste Impuls ist: Orientieren wir uns an dem, was die Bundeskanzlerin sagt. Was eindeutig nicht stimmt, ist der Vorwurf, dass die Corona-Berichterstattung permanent einseitig gewesen sei. Wenn man sich ein paar Wochen später und im Laufe des Jahres die Berichterstattung anschaut, sehen wir sehr viele sehr kontroverse Debatten. Aber auch da habe ich das Gefühl: Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen.