Lebensweisheit aka. Brief an mich selbst
Inspiriert durch die Gedanken an
@Ebiator seinen Post im alten TA-Forum, habe ich mir auch mal Gedanken gemacht, was ich meinem Jüngeren Ich, das am Anfang seiner Trainingslaufbahn steht aus heutiger Sicht raten würde.
Bevor sich nun echauffiert wird nach dem Motto: „was erlaubt sich die Pfeife, der sieht doch nach nichts aus!“- wie beschrieben würde ich diese Tipps meinem jüngeren ich geben. Ich nehme mir nicht heraus, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben oder irgendwem gegenüber den Oberlehrer spielen zu wollen. Da dieser Log als eine Art „Tagebuch für mich selbst“ geführt wird und ich vielleicht in ein paar Jahren nochmal über diese Gedanken stolpere ist alles weitere, wie man so schön im Finanz-Youtube sagt: Keine Anlageberatung
Wie habe ich angefangen?
Muskulatur und Kraft fand ich schon als Kind cool. Ich erinnere mich an einen Film mit Arnold und Denny DeVito (ich glaube „Twins“), in dem Arnold ein parkendes Auto hochhebt – das wollte ich auch können! Ich habe dann gedacht ich mache ein paar Sit-Ups und irgendwann schaffe ich das auch – ganz so einfach ist es dann leider doch nicht.
Ich war meine ganze Kindheit und Jugend über ziemlich dürr und alles andere als kräftig. In der Schule hab ich immer zu den schwächeren gehört und war nie wirklich herausragend, allerdings immer recht sportlich.
Vor ca. 15 Jahren (wäre mehr drin gewesen, ernsthaft) mit knapp 60kg Körpergewicht habe ich im Keller meiner Eltern das erste mal mit Kurzhanteln und einer klapprigen Hantelbank begonnen. Ich weiß noch genau, dass ich nur die Stange, ohne Zusatzgewichte drücken konnte.
An der Wand hing ein Poster aus der Bravo Sport vom jungen Cristiano Ronaldo im ManU-Trikot und ich hab‘ mir gedacht „was für ein Typ, wie kann man nur so viele Muskeln haben?“.
Irgendwann in der Anfangszeit von Youtube habe ich dann ein Video von Kevin Levrone gesehen, wie er einen Tag vor dem Mr. O 1999 auf einem Parkplatz post. Damals wusste ich nicht, wer oder was das ist, fand es aber brutal. Das war so meine erste Begegnung mit „echtem“ Bodybuilding.
Dann habe ich irgendwann die Homepage vom Ende letzten Jahres verstorbenen Andreas Frey entdeckt, auf der er Ernährung, Training, Cardio in für mich einfach und verständlicher Form erklärt hat und sogar Rezeptentwürfe für Mahlzeiten präsentiert hat. In einer Zeit, wo Youtube noch lange nicht das war, was es heute ist, Instagram, Facebook und Co. noch nicht existierten oder unbekannt waren, war das für mich wie die Bibel. Ich habe die Inhalte dort verschlungen und wie ein Schwamm aufgesaugt!
Nun, wie ich bereits schrieb – ich bin auch heute kein „richtiger“ Bodybuilder, sondern reiner Hobbysportler und nicht wirklich zufrieden mit meiner Figur, was aber glaube ich in unserem Sport ein Dauerzustand ist.
Dennoch habe ich während meiner Trainingszeit auf der Bank das 1,5-fache meines Körpergewichtes gedrückt, fast das 2-fache gebeugt und das 2,5-fache gehoben und der Sport gehört für mich doch irgendwie zu Lebensstil, wenn auch nur in einem gewissen Maße. Vor 15 Jahren hätte ich wahrscheinlich auch meinen heutigen Körper als „muskulös“ bezeichnet und sofort unterschrieben, so aussehen zu wollen.
Meine (subjektiven) Ratschläge an mein jüngeres ich wären also:
Allgemein
Beim Bodybuilding (oder generell im Leben), ist der Weg das Ziel. Konzentriere dich nicht auf eine Zahl, oder einen Tag X, sondern genieße viel lieber die Reise als Ganzes und wachse als Person/Persönlichkeit an dem Weg.
Vergleiche dich nicht mit Hansl oder Peter, die vielleicht in der Nebenklasse, oder im gleichen Studio angemeldet sind und deutlich muskulöser oder kräftiger sind als du. Diese Gedanken sind verschwendete Lebensenergie und ändern nichts an der Situation. Vergleiche dich mit dir selbst und werde besser, als du es gestern, oder vor einer Woche warst. Betrachte das ganze aber langfristig. Dieser Sport ist undankbar - du wirst in einem Zeitraum von ein paar Tagen oder Wochen nicht viel nachhaltig verändern. Gleichzeitig kannst du aber viel verändern, wenn du langfristig dabeibleibst und dich auf dich fokussierst.
Training
Es ist völlig egal, welchen Split du trainierst. Wirklich – es macht nur Nuancen aus. Wichtig ist, dass dir das Training Spaß macht und du (fast) jedes Mal mit voller Vorfreude und Motivation ins Studio rennst. Dein Training sollte dabei immer auf den gleichen Grundpfeilern basieren: Und zwar den Grundübungen, die seit Jahrzehnten gemacht werden: Kniebeuge, Kreuzheben, (Schräg-)Bankdrücken, Rudern, Klimmzüge, Dips. Auch Isos wie Curls, Seitheben etc. sind sinnvoll und bringen Spaß, sollten aber niemals den Hauptteil des Trainings bilden. Einarmiges Latziehen am Kabelzug ist sicherlich toll um den Muskel zu spüren, ist aber am Anfang völlig sinnfrei, weil du „keinen“ Muskel besitzt. Es bedarf für dich auch keine 18 Sätze Curls, um den „Bizeps-Peak“ besser herauszuarbeiten.
Damit will ich sagen: Konzentriere dich am Anfang auf einen (alternierenden) GK, 2-er oder 3-er Split. Am besten einen, den dir ein erfahrener Trainierender gibt (Musterpläne hier im Forum) und keinen, den du dir selbst schreibst. Werde so stark wie möglich in den Grundübungen und häng dann ein paar Isos an, die dir Spaß machen.
6er Splits mit Quad/Beinbizeps-Splittung machen sicherlich für bestimmte Leute Sinn, allerdings solltest du dich zu Beginn deiner Trainingslaufbahn darauf fokussieren eine Grundbasis zu schaffen!
Lasse dir nicht einreden, dass es „die beste Übung“ für irgendeinen Muskel gibt. Solche Aussagen sind einfach Schwachsinn, da jeder Mensch unterschiedlich ist und auch ein unterschiedliches Muskelgefühl hat. Für den einen funktioniert Bankdrücken, für den anderen Schrägbankdrücken oder Dips. In einer Gesellschaft, die immer mehr in schwarz/weiß Denken verfällt und immer mehr absolutistische Aussagen trifft (vor allem in Social Media), solltest du für dich selbst herausfinden, was FÜR DICH funktioniert. Das bedeutet, dass wenn Tom Platz sagt, dass die Squats der Altar für die Beinmuskulatur sind, bei dir aber nur der Arsch wäschst, Squats für dich eben nicht funktionieren. Bedenke aber, dass du dafür eine zeit lang Squats machen musst, um dir die Meinung bilden zu können. Eigne dir nicht die Meinung von Person XY an, sondern finde durch Try-and-Error heraus, was FÜR DICH das richtige ist und bilde dir deine eigene Meinung.
Ernährung
Kurz und knapp: Iss genug Protein und achte auf deine Kalorienbilanz, je nach aktueller Zielsetzung isst du entweder mehr als du verbrauchst oder eben weniger – that’s it! Den Kalorienbedarf kann dir auch keine Uhr oder ein Kalorienrechner sagen, sondern den musst du herausfinden. Wie? Indem du Kcalmenge X über einen Zeitraum von 2-3 Wochen isst und schaust, ob du zu- oder abnimmst. Dabei kannst du die Menge X tatsächlich als groben Wert über einen Rechner oder eine Uhr ermitteln, aber dies sollte nur den Orientierungswert darstellen.
Da du Hobbysportler bist, solltest du dir nicht im Traum einfallen lassen bei Oma den Kuchen zu verweigern oder am Geburtstag deiner Partnerin die Essenseinladung des Vaters abzulehnen, weil du „gerade auf Diät bist“ (tatsächlich mal so geschehen). Dafür hättest du im Fall der Fälle eigentlich eine Backpfeife verdient. Für ambitionierte Bühnensportler gelten andere Aussagen, aber du bist halt ein Hobbysportler!
Es ist sicherlich förderlich und empfehlenswert, sich möglichst gesund zu ernähren - sprich ausreichend Gemüse und Obst, unbehandelte Lebensmittel und Protein aus möglichst hochwertigen Quellen zu essen. Wenn du aber Schüler bist, bei Mama und Papa wohnst und gerade erst mit dem Training beginnst: Iss einfach das, was Mama kocht, bis du satt bist und ein Stück darüber hinaus und hau dir zusätzlich eine Dose Thunfisch pro Tag rein. Das wird am Anfang langen, um zu wachsen.
Du kannst dir gerne auch etwas gönnen. 80/20 lautet die Devise. Grundbasis immer gesund/unverarbeitet und wenn dann mal ein Döner dazukommt, dann läuft das schon. Vor allem wenn er sogar in deine Kalorienbilanz passt. Dann gibt’s sowieso gar nichts, weshalb man sich schlecht fühlen muss.
Alkohol – Jo, leidiges Thema. Fakt ist, dass es deine Erfolge limitieren wird, wenn du dich jedes Wochenende besäufst und dann 1-2 Tage nicht richtig essen und trainieren kannst. Andererseits hast du halt auch ein Leben neben dem Sport. Es ist halt so: Das, was du reinsteckst, bekommst du am Ende auch als Ergebnis. Wenn du etwas mit deinen Freunden trinken gehen willst, dann tu das. Stelle dich halt nur den Konsequenzen. Wenn dein Ziel 6% Kfa sind, dann passt es nicht, sich 2-3x im Monat zu besaufen.
Willst du eine vernünftige Strandform erreichen, dann kannst du sicherlich auch mal etwas trinken gehen. Gesundheitliche Perspektiv mal außen vor.
Supplemente
Auch wieder kurz und knapp: Können Sinn machen, sind aber für den Hobbysportler nicht essenziell.
Ich nutze heute nur noch hochdosiertes Omega 3, gutes Multivitamin und Kreatin. Das sind aus meiner Sicht auch die drei wichtigsten Supps.
Nice-to-have sind dann noch ein Whey und Glutamin (für die Darmgesundheit). Brauchen tut man das aber nicht.
Booster sind sowieso der unnötigste Müll: Wenn du müde bist, dann trink einen Kaffee vorm Training. Wenn du keine Lust aufs Training hast, wird der Booster dir auch nicht helfen. Dann stimmt etwas anderes nicht. Entweder du schläfst/isst du nicht genug, deine Erholung oder Trainingsplan sind scheiße, oder du bist halt einfach ein Mädchen (inb4 wir leben in einer Zeit, wo man das nicht als abwertendes Wort nutzen darf – passt in dem Fall „Pussy“ besser oder auch nicht politisch korrekt?). Es gab tatsächlich mal eine Phase, in der ich dachte, ohne Booster könne ich nicht trainieren gehen - die gute, alte Jack3D Zeit. Rückblickend betrachtet natürlich ein Witz, solche Gedanken zu haben.
Wenn du Supps nehmen möchtest, dann vorrangig, um deine Gesundheit zu fördern. Wirst du nicht krank, musst du keine erzwungenen Trainingspausen einlegen, ergo – mehr Wachstumsreiz.
Proteine, Kohlenhydrate etc. kannst du alles über Ernährung decken. Niemand, abgesehen von Personen mit Krankheiten (Magersucht o.Ä.), benötigt 3 Shakes pro Tag. Investiere das Geld lieber in gute Lebensmittel. Kannst du nicht viel essen, dann bau dir deinen Weight Gainer Shake selbst aus Haferflocken, Eiklar, Honig oder ähnlichem, statt Unmengen an Geld für irgendwelche Eimer auszugeben, die gerade im Hype sind. Ich kann mich noch an eine Phase erinnern, in der alle (inklusive mir) eimerweise Celltech von Muscletech bestellt haben, weil man „ohne keine Masse aufbauen kann“ oder Animal Cuts, weil ohne „eine Diät keinen Sinn macht“ – die Diät hat damals tatschlich keinen Sinn gemacht, weil keine Muskulatur da war, aber das ist ein anderes Thema.
Steroide
Jo, da kann ich eigentlich nicht viel zu sagen, weil es bis heute nie dazu gekommen ist (inb4 sieht man). Ein Freund von einem Freund war mal kurz davor, saß sogar schon beim Arzt, um Blutwerte zu nehmen etc. hat es dann aber doch nicht gemacht. Vielleicht kann ich mir da heute in 15 Jahren eine Meinung zu bilden und dann meinem heutigen ich erneut so eine Wall of Text schreiben. Bisher hat der Freund von meinem Freund es aber nie ernst bereut nicht „on“ gegangen zu sein, auch wenn er sich wiederholt gefragt hat was wohl wäre, wenn. Fakt ist, wie ich in der Eröffnung schrieb, dass mein 15/16-Jähriges ich den Körper, den ich heute habe, sicherlich mit Kusshand genommen hätte. Das sollte reflektiert werden und dann kann man auch glücklich mit dem sein, was man erreicht hat, auch wenn man aus heutiger Sicht gerne mehr will.
So – ist nun doch ein ganz schöner Brief geworden, aber wie beschrieben: Vielleicht lese ich mir diesen Text eines Tages noch einmal durch und freue mich über meine eigenen Gedanken.
Have a nice day!