«Kommen Sie auf die ökologische Seite der Geschichte», sagt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer beim Evangelischen Kirchentag. Die Menge jubelt
In der niedersächsischen Landeshauptstadt ist man sich einig: Die Kirche ist politisch. Es geht um den Klimawandel und um die Gefahr von rechts. Aber viele wollen auch einfach nur Spass haben.
Das Messegelände in Hannover, direkt vor dem futuristisch anmutenden Kongresszentrum: «Ich bin Gottes Kind», singt eine junge Frau auf der Bühne. Mehrere junge Erwachsene und ein paar Pensionäre tanzen zur lauten Popmusik, andere ruhen sich auf einer Wiese aus. Einige Schritte weiter rollen Pfadfinder in grauer Uniform einen Müllcontainer zur «Müllinsel». Vor einem Bratwurststand stehen Menschen in einer langen Schlange. Es ist Evangelischer Kirchentag in der niedersächsischen Landeshauptstadt.
Musik, Tanz, Freude, das ist vielen der rund 100 000 Besucher der fünftägigen protestantischen Grossveranstaltung besonders wichtig. Programmatisch steht hier aber das Politische im Mittelpunkt. Als die Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Samstag die Bühne der Messehalle 2 betritt, erhebt sich das eher betagte Publikum von den Sitzwürfeln aus Pappe und klatscht.
«Kommen Sie auf die ökologische Seite der Geschichte», sagt die Gründerin des deutschen Ablegers von «Fridays For Future». Sie trägt wie die meisten Teilnehmer einen roten Schal mit der Aufschrift «mutig, stark, beherzt» – das Motto des Kirchentags. Es ist ein abgewandeltes Zitat aus dem Korintherbrief des Apostels Paulus.
Neben Neubauer ist auch eine andere prominente Klimaaktivistin zum Kirchentag angereist: Carla Hinrichs. Sie wurde öffentlich durch ihr Engagement bei der radikalen Gruppe «Letzte Generation» bekannt. Hinrichs klebte sich mit Mitstreitern an Fahrbahnen, die Aktivisten hinderten teils auch Krankenwagen an der Durchfahrt. Sie bereut das nicht. Es sei wichtig, auch einmal die eigene «Komfortzone» zu verlassen, sagt sie. Und erntet Applaus.
Auch Männer könnten schwanger werden, heisst es hier
Der Klimaschutz ist beim Kirchentag nach wie vor ein zentrales Thema. Die meisten Referenten wiederholen das Mantra, Wachstum sei begrenzt, die Möglichkeiten moderner Technologie auch. Doch bei der menschlichen Sexualität geht eine Ausstellung beim Kirchentag in eine ganz andere Richtung: Nach Auffassung der Veranstalter lässt sie sich beliebig umdeuten und umgestalten.
Alle könnten schwanger werden, heisst es, «egal, ob trans oder cis, Frau, nicht-binär oder Mann». Gott halte sich schliesslich nicht an «menschengemachte Gesetze». Im Pavillon sind Pride-Flaggen in verschiedensten Ausführungen zu sehen. Der Glaube an die grenzenlose Formbarkeit der Natur des Menschen, so scheint es, hat den christlichen Glauben an die Transzendenz Gottes verdrängt.
Dabei fällt es nicht leicht, sich zwischen den rund 1500 Diskussionspodien, Workshops und Podien des Kirchentags zu entscheiden. Wer Neubauer in der Messehalle 2 dabei zuhören will, wie sie mit einer Grünen-Politikerin, einem Industriellen und einem Gewerkschaftsfunktionär übers Klima diskutiert, muss auf den gleichzeitig stattfindenden Workshop zu «rechter Esoterik» in der Volkshochschule verzichten.
In einem Tagungshaus im Stadtzentrum geht es da gerade um «Polyamorie und Nichtmonogamie: Was? Wie?» In der Kirche St. Clemens findet ein Gottesdienst für Handwerker statt. Und in der städtischen Flaniermeile, dem Kröpcke, singen Chöre.
Alle sind willkommen – ausser der AfD
Der Deutsche Evangelische Kirchentag, so heisst die Grossveranstaltung der protestantischen Laien mit vollem Namen, ist erstmals 1949 zusammengetreten. Seither findet er alle zwei Jahre an unterschiedlichen Orten in Deutschland statt. Zunächst standen die deutsche Teilung und die Diskussion über die Aufarbeitung der Kollaboration kirchlicher Kreise mit dem nationalsozialistischen Regime im Mittelpunkt. Ab den Sechzigerjahren ging es vermehrt um Umweltschutz und Abrüstung.
Im Programm des aktuellen Kirchentags fallen mehrere Leerstellen auf. Linksextremismus, Islamismus und negative Begleiterscheinungen der illegalen Migration nach Deutschland kommen nicht vor. Veranstaltungen zum protestantischen Reformator Martin Luther sucht man im Programmheft vergebens. Politiker der AfD sind nicht eingeladen. Mit ihnen wird nicht diskutiert, aber es wird viel über sie gesprochen.
Nur wenige Stunden, nachdem das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als «gesichert rechtsextremistische Bestrebung» eingestuft hat, verliest die Kirchentagspräsidentin und Grünen-Politikerin Anja Siegesmund eine Erklärung.
«Hannover hat Platz für alle Menschen», heisst es darin. Nur eben nicht für die Politiker der Rechtspartei. Sie soll, geht es nach einer Resolution des Kirchentags, schnellstmöglich verboten werden.
Kirchen als NGO? Klöckner bleibt bei ihrer Kritik
Julia Klöckner, die Bundestagspräsidentin mit CDU-Parteibuch, tritt dagegen am Kirchentag auf. Sie legt die Verse aus dem Matthäusevangelium aus, die von Jesu Auferstehung erzählen. Aus ihrer Sicht begründen sie die Hoffnung auf das ewige Leben. Die studierte katholische Theologin mahnt, Politik und Religion seien «nicht das Gleiche». Sie sagt, Kirche müsse mehr sein als eine Nichtregierungsorganisation.
In gewisser Weise fällt hier Klöckner aus dem Rahmen. Die Christlichdemokratin klagte jüngst in einem Interview mit der «Bild am Sonntag», die Kirche drohe sich in politischen Fragen zu verlieren. Das macht sie bei den Besuchern nicht unbeliebt – im Gegenteil. Vor und nach ihren Auftritt stehen junge Menschen Schlange, um sich mit ihr fotografieren zu lassen.
Auch mit einem anderen Prominenten wollen Jugendliche gerne fotografiert werden: Mit Leonard Jäger. Der blonde 24-Jährige, dessen Youtube-Kanal «Ketzer der Neuzeit» eine halbe Million Menschen abonnieren, filmt mit einem Kameramann den Kirchentag. Kritiker rechnen ihn dem stramm rechten bis verschwörungstheoretischen Spektrum zu. Nicht nur junge Männer, auch eine Gruppe junger Mädchen posiert mit ihm.
Dann verweisen Polizisten Jäger und seinen Kameramann des Messegeländes. Die Veranstalter haben ihm die Presseakkreditierung entzogen. Nun wolle er mit den Abtreibungsgegnern vor dem Ausgang sprechen, sagt er. Sie sind zum Kirchentag ebenfalls nicht zugelassen. Noch am selben Tag postet die rechtskonservative «Junge Freiheit» ein Video auf der Plattform Instagram, auf dem Jäger mit den christlichen Aktivisten zu sehen ist.
Abtreibungsgegner dürfen nicht, Pazifisten wollen nicht
Bei den Themen AfD und Recht auf Abtreibung sind sich die meisten Teilnehmer einig. Doch über einen Sinneswandel sind hier manche noch nicht hinweg: Galten die Kirchentage einst als wohl wichtigste regelmässige Zusammenkunft der deutschen Friedensbewegung, sinkt die Zahl derer, die sich kategorisch gegen Militär und Waffen stellen.
Das liegt am Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die meisten Besucher äussern sich verständnisvoll über westliche Waffenlieferungen an den angegriffenen Staat. Für einen Antrag, wonach die Bundesregierung die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen ablehnen und einem internationalen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beitreten solle, finden sich nicht genug Stimmen.
Die klassisch pazifistische Position ist aber nicht weg, sie ist nur woanders. In der Hannoveraner Innenstadt haben sich Bibelkreise der Friedensbewegung unter Führung der früheren evangelischen Bischöfin Margot Kässmann zusammengefunden. Sie hatte sich in der Friedensfrage bereits beim Kirchentag vor zwei Jahren mit den damaligen Ausrichtern überworfen, tritt aber diesmal auf einem Podium zur Liturgie auf.
Früher war mehr Kontroverse, sagt ein pensionierter Pastor
Der pensionierte Pastor Henning Halver besucht nach eigener Aussage seit ungefähr fünfzig Jahren regelmässig die Kirchentage. Er blickt gelassen auf ihr Zerwürfnis mit der Friedensbewegung. Wie die Besucher, so habe sich auch der Kirchentag politisch verändert, meint der 71-Jährige mit weissem Rauschebart und Basecap, als er sich mit der NZZ an einem Stand unterhält.
Für den Geistlichen im Ruhestand aus dem norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein ist der Kirchentag eine gute «Demokratieschulung». Doch die Debatten seien früher lebendiger gewesen, meint er.
Einmal sei der frühere sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt bei einem Kirchentag aufgetreten. Da habe jemand eine Frage gestellt, die das Publikum empörte. Es buhte den Fragesteller aus. «Jeder darf hier seine Meinung sagen», soll Schmidt gesagt haben. Er habe den Mann ausreden lassen.
Ihm habe seinerzeit Schmidts Haltung imponiert, dass beim Kirchentag alles diskutiert werden dürfe, sagt Halver. Ob aber jeder diese Auffassung des früheren Kanzlers teilt, das ist an diesen Tagen in Hannover mehr als fraglich.
Wenn wir schon bei Kämpferinnen für das Gute sind.. das ist alles mittlerweile auf so vielen Eben irre , man weiß gar nicht wo man ansetzen soll