Interessanter Beitrag zum Umgang mit Bildern aus Israel in deutschen Medien (Meinung eines Bildredakteurs)
https://www.stern.de/politik/ausland/an ... 96848.html
"Die Hamas will schreckliche Bilder um die Welt schicken: Wie der stern damit umgeht
Als Kämpfer der Hamas am Wochenende Israel überfielen, war die Welt live dabei. Hunderte Fotos und Videos der Gräueltaten fanden ihren Weg in soziale Netzwerken. Wie der stern mit solchen Aufnahmen umgeht, erklärt Bildredakteur Guido Schmidtke.
Eine junge Frau liegt mit verdrehten Gliedmaßen bäuchlings auf der Ladefläche eines Pick-ups, bewaffnete Männer sitzen hinter ihr, die Beine über ihren leblosen Körper gelegt. Sie skandieren "Allahu Akbar", ein Jugendlicher spuckt auf die Frau, dann fährt der Wagen davon. Es sind schreckliche Bilder wie diese, die seit dem Wochenende die sozialen Netzwerke überfluten und einen Eindruck der Gräueltaten vermitteln, die sich beim Angriff der Hamas auf Israel abgespielt haben – und durch die vielen nach Gaza verschleppten Geiseln vermutlich immer noch abspielen.
Was zeigen wir wie aus Israel?
Als journalistisches Medium müssen wir in solchen Lagen entscheiden, welche Bilder der stern zeigt und welche nicht. Der Pressekodex, herausgegeben vom Presserat, umreißt dafür ethische Standards. Wir Journalisten müssen die Grundzüge unserer Berufsethik kennen und auch den gesunden Menschenverstand einsetzen. Es gibt keine klar definierte Grenze, immer geht es um eine Einzelabwägung – gerade bei der Darstellung von Gewalt an Menschen. Es ist ein Spagat zwischen der Verpflichtung, etwa Kriegsverbrechen als zeithistorisches Dokument zu zeigen und dem Schutz der Opfer sowie unserer Leser vor ungefilterter Gewaltdarstellung. Jedes Bild muss also einzeln diskutiert werden. Dabei stellen wir uns folgende Fragen:
Bleibt die Würde der Menschen in Todesangst, der Verletzten oder Getöteten gewahrt? Auch ein toter Mensch hat selbstverständlich ein Recht auf seine Würde.
Ist die Identität eines dargestellten Opfers und der Kontext nachvollziehbar?
Haben womöglich Angehörige ein Einverständnis gegeben, oder ausdrücklich den Wunsch nach Veröffentlichung geäußert?
Was ist für unsere Leser und somit den Betrachter der Bilder zumutbar? Kriegsbilder können für traumatisierte oder betroffene Menschen schwerwiegendere Auswirkungen haben.
Wie wirken Fotos, die im stern leicht zugänglich sind, auf Jugendliche und Kinder? Es gibt eine große Bandbreite zwischen jenen, denen man viel zumuten kann, und jenen, denen vieles zu viel ist.
Doch diese Fragen können nur eine Orientierung geben. Am Ende steht immer eine redaktionelle Einzelentscheidung. Im Fall der Hamas stellt sich zum Beispiel auch die Frage der Propaganda-Verbreitung. Wie auch beim sogenannten Islamischen Staat nutzt die Hamas die schrecklichen Bilder gezielt, um Angst zu verbreiten. Als Journalisten müssen wir uns daher immer fragen: Was sollten wir unserem Leser zeigen und wo machen wir uns womöglich zum Handlanger der Terrorpropaganda?
Natürlich gibt es sehr gute Gründe dafür, fürchterliche Aufnahmen zu zeigen. Sie machen abstrakte Nachrichten aus Kriegsgebieten, Opferzahlen und Schadensmeldungen greifbar. Komplizierte Sachverhalte können mit einem Bild einfacher erklärt werden, ein Foto kann meist einen schnelleren und stärkeren Eindruck auf die Betrachter ausüben als ein umfangreicher Text. Emotionen werden direkter transportiert, Unfassbares wird zur Realität. Der Krieg ist mit Schrecken, Leid und Tod verbunden. Im Prinzip weiß das jeder, aber niemand mag sich gerne damit auseinandersetzen.
Ich sehe es aber als Aufgabe des stern, auch die schlimmen Situationen des Krieges mit einer gewissen Schonungslosigkeit zu vermitteln. Aber natürlich bewegen wir uns auf einem schmalen Grat zwischen Aufklärung und Sensationslust. Wir müssen immer wieder darüber nachdenken, in welchem Moment wir die Linie zwischen emotionaler Berichterstattung und reinem Voyeurismus überschreiten."