"Schwarz-Grün ist ein Albtraum für die zukünftigen Generationen«
Was wollen die neuen Chefs der Grünen Jugend? Auf keinen Fall einen Freifahrtschein für Spitzenkandidat Habeck, versprechen Jette Nietzard und Jacob Blasel. Ihren Vorgängern werfen sie vor, kapituliert zu haben.
SPIEGEL: Herr Blasel, Sie sind seit einer Woche Co-Chef der Grünen Jugend. Kaum gewählt, hatten Sie schon einen Shitstorm am Hals. Wollen Sie wirklich Hunde verbieten?
Blasel: Nein, das ist frei erfunden. Es stand zuerst in einem rechten Hetz-Blog, von dort hat das die »Bild«-Zeitung übernommen.
SPIEGEL: Sie haben 2019 als Mitbegründer der Klimaschutzbewegung Fridays for Future gesagt: Haustiere seien »ein ziemlicher Umwelt- und CO2-Luxus. Wir brauchen sie eigentlich nicht«. Würden Sie das heute genauso wiederholen?
Blasel: Die Zitate stammen aus einer öffentlich-rechtlichen Nachhaltigkeitssendung, die ich mal moderiert habe. Soweit ich mich erinnere, hatte mir das meiste die Redaktion auf die Moderationskarte geschrieben.
SPIEGEL: Hatten Sie damit gerechnet, dass Sie so schnell zum Ziel von Angriffen werden?
Nietzard: Ich war völlig drauf eingestellt, als junge Frau einen Shitstorm zu kassieren. Es war eher eine Überraschung, dass der erste Jakob galt. Jakob steht als Mitbegründer von Fridays for Future ja schon länger in der Öffentlichkeit als ich.
SPIEGEL: Im September ist nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang der gesamte Vorstand der Grünen Jugend aus der Partei ausgetreten. Für Sie beide kam der neue Job sehr plötzlich. Wie sehr ändert sich Ihr Leben dadurch?
Nietzard: Wir haben seit unserer Wahl sehr viele Anrufe bekommen, von Politiker:innen und Vertreter:innen anderer Jugendbewegungen, mit denen wir uns jetzt nach und nach treffen. Ich hatte vorher einen 40 Stunden Job, jetzt sieht der Alltag schon anders aus – und der Tag ist länger.
Blasel: Wir müssen in sehr kurzer Zeit sehr viele Entscheidungen treffen und den Verband nach dem Rück- und Austritt des vorigen Vorstandes nach innen und nach außen neu aufstellen. Ich hatte noch keine Zeit, mir in Berlin eine WG zu suchen. Ich studiere eigentlich in Lüneburg, vorübergehend wohne ich auf einer Couch bei einem Kumpel.
SPIEGEL: Was war bei Ihnen größer: Die politische Überraschung über den Rück- und Austritt Ihrer Vorgänger – oder die menschliche Enttäuschung?
Nietzard: Für mich auf jeden Fall die menschliche Enttäuschung. Das sind zum Teil unsere Freund:innen, wir sind gemeinsam politisch erwachsen geworden.
Blasel: Die Art und Weise, wie sie ihren Abschied verkündet haben, hat mich überrascht und enttäuscht. In aller Stille seinen Austritt vorzubereiten und dann die Bombe platzen zu lassen – das war nicht besonders demokratisch. Es wäre verantwortungsvoller gewesen, auf einem Bundeskongress gemeinsam darüber abzustimmen, ob wir noch der Jugendverband der Grünen sein wollen.
SPIEGEL: Frau Nietzard, auf X schrieben Sie: »Die Grüne Jugend verliert fantastische Menschen, aber hoffentlich mit ihnen auch die bisherigen Lesekreise ohne politische Praxis.« Was meinten Sie damit?
Nietzard: Politische Theorie ist wichtig, aber sie muss sich im Alltag und unserem Handeln als Jugendverband widerspiegeln. Ich glaube, dass viele derjenigen, die in den letzten Jahren die Grüne Jugend geprägt haben, zu sehr in die politische Theorie abgedriftet sind. Das Beste an Utopien ist doch, sie Schritt für Schritt umzusetzen. Ich mache Politik, um praktisch etwas zu verändern. Ich habe in der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« mitgewirkt. Das hieß, an Türen zu klingeln und Mieter:innen zusammenzubringen. Diese Erfahrungen will ich im nächsten Jahr stärker in den Verband tragen.
SPIEGEL: In ihrer Rücktrittserklärung schrieb die Mitglieder des Ex-Bundesvorstands, dass sie die Grünen verließen, weil sie »keine Perspektive darauf sehen, dass die Partei in Zukunft einen grundsätzlich anderen Kurs einschlägt«. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass es Ihnen gelingt, den Kurs der Mutterpartei grundlegend zu ändern?
Nietzard: Wenn man aktuelle Umfragen sieht, sind wir als Grüne die linkeste Kraft, die dem nächsten Bundestag angehören wird. Wir haben diese Macht nur gemeinsam und nicht, wenn wir uns zersplittern. Ich kann den Mitgliedern der Grünen Jugend nicht versprechen, dass es uns gelingt, den Kurs zu ändern, aber ich kann garantieren, dass wir daran arbeiten werden. Und ich kann den Grünen nur raten, auf die Jugend zu hören, denn sie brauchen uns.
Blasel: Die Grünen sind die Partei, die unseren Positionen als Grüner Jugend am nächsten steht. Es wäre ein Geschenk an alle politischen Gegner, wenn wir kapitulieren, so wie es der vorige Vorstand getan hat.
SPIEGEL: Auf dem Bundeskongress der Grünen Jugend haben Sie vor allem an den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck eine politische Kampfansage gerichtet. Finden Sie es richtig, dass Habeck Kanzlerkandidat der Grünen werden soll?
Blasel: Meine Kritik an der Politik der Grünen ist umfassender als die Personalie Robert Habeck. Politische Kampfansagen richten sich immer an den Kurs der gesamten Partei.
SPIEGEL: Sie haben Habeck persönlich vorgeworfen, das Lieferkettengesetz zu schleifen. »Lieber Robert, Grüße aus Leipzig, wir tragen diese Politik nicht mit«, sagten Sie.
Blasel: Die geplante Abschaffung des Lieferkettengesetzes finde ich schrecklich. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass in der Lieferkette von Produkten Menschenrechte gewahrt und Umweltvorgaben eingehalten werden. In Zukunft werde ich die Chance nutzen, Robert Habeck meine Kritik direkt ins Gesicht zu sagen.
SPIEGEL: Unsere Frage war aber, ob Sie es richtig finden, dass er Kanzlerkandidat wird.
Nietzard: Er wird ja auf jeden Fall Kanzlerkandidat, daran werden wir nichts mehr ändern. Es wäre nicht klug, sich jetzt an dieser Personalie zu verkämpfen. Wir blicken nach vorn und setzen uns dafür ein, dass er eine gute Politik machen wird und dass das Wahlprogramm so viele unserer Positionen beinhaltet wie möglich.
SPIEGEL: Kann sich Habeck denn auf Ihre Unterstützung verlassen oder tragen Sie ihn lediglich mit der Faust in der Tasche mit?
Blasel: Wir sind keine Leute, die schmollen und irgendwie hinterm Rücken sagen: Hätten wir mal wen anders gehabt. Wir verteilen aber auch keinen Freifahrtschein. Ich stelle mich nicht jetzt Ende Oktober 2024 hin und sage: Habeck kann im nächsten Jahr sagen und machen, was er will. Wir werden das aushandeln und dabei darauf bestehen, dass unser Anspruch an Gerechtigkeit, Klimaschutz und Menschenrechte Teil der Grünen-Wahlkampagne wird.
SPIEGEL: Wie fanden Sie Habecks Gebäudeenergiegesetz?
Blasel: Ich fand die Debatte darüber genauso absurd wie meinen Hunde-Shitstorm. Es ging ja nicht um ein generelles Verbot von Gasheizungen, wie es oft dargestellt wurde. Ich habe mich allerdings gewundert, dass Habeck das Gesetz später als Test bezeichnet hat, wie viel wir den Leuten beim Klimaschutz zumuten können. Diesen Blick auf die Gesellschaft halte ich für falsch. Das wäre Selbstaufgabe. In unserer Demokratie gibt es Mehrheiten für wirksamen Klimaschutz, wenn er von denen finanziert wird, die sehr vermögend sind. Einzelne Maßnahmen dürfen nicht allein von der breiten Bevölkerung getragen werden, sondern müssen vor allem von Millionären und Milliardären finanziert werden. Es war ein fataler Fehler der Grünen, Klimaschutz so sehr auf technische Fragen zu reduzieren und ihn nicht als Verteilungsfrage und Gerechtigkeitsfrage zu betrachten.
SPIEGEL: Kontrovers diskutieren die Grünen Jugend und die Mutterpartei auch über das Thema Migration. Frau Nietzard, Sie sagten, Sie möchten die Bundesregierung »anschreien«, wenn sie schnellere Abschiebungen fordert. Finden Sie es falsch, Straftäter abzuschieben?
Nietzard: Ich finde es falsch, Abschiebungen als Ersatz für das Strafrecht zu missbrauchen. Ich finde es fahrlässig, Menschen in Gebiete abzuschieben, in denen es keinen sicheren Rechtsstaat gibt und sie weitere Taten begehen können. Ich glaube, dass Straftäter in deutschen Gefängnissen besser aufgehoben sind.
SPIEGEL: Der designierte neue Grünenvorsitzende Felix Banaszak sagte beim Bundeskongress, er könne nicht versprechen, dass es mit den Grünen keine weiteren Verschärfungen in der Asylrechtspolitik geben würde. Wie viel davon können Sie mittragen, bis Sie selbst aus der Partei austreten?
Nietzard: Anders als unsere Vorgänger bin ich nicht hier, um aus der Partei auszutreten. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Grünen weniger Asylrechtsverschärfungen mittragen. Es tut der Partei nicht gut, einen Asylrechtsdiskurs zu übernehmen, der von rechten Narrativen geprägt ist.
SPIEGEL: Ihre Vorgängerin Katharina Stolla hatte im Interview mit dem SPIEGEL 2023 gesagt, dass der Rechtsruck bei jungen Menschen nicht verwundere, weil die Regierung keine soziale Politik mache. Stimmen Sie der Analyse zu?
Nietzard: Diese Aussage ist verkürzt. Für junge Menschen muss im Regierungshandeln deutlich werden, dass es sich lohnt demokratisch zu wählen. Natürlich geht es dabei auch um die Frage, ob ich zu Hause ausziehen kann oder ob meine Eltern jeden Cent umdrehen müssen, aber jungen Menschen sind verschiedene Politikfelder wichtig. Wenn Klimaschutz hinten angestellt wird oder man beobachten muss, wie Freund:innen abgeschoben werden: Auch das politisiert junge Menschen. Sozial gerechte Politik ist nur ein Teil der Lösung.
Blasel: Die Welt ist im Umbruch. Dass das Verunsicherung hervorruft, ist doch normal. Egal, ob Heizungen umgerüstet werden müssen oder VW ganze Werke schließt, am Ende muss gelten: Klimaschutz darf nicht zur finanziellen Belastung werden. Dafür braucht es ein sozial gestaffeltes Klimageld, denn das würde dazu führen, dass Menschen mit mittleren und geringen Einkommen mehr Geld in der Tasche haben als vorher.
Nietzard: Für mich wäre der wichtigste Schritt die Abschaffung der Schuldenbremse. Weder soziale Politik noch ein Planet, der uns eine Lebensgrundlage bietet, sind möglich, wenn wir an der Schuldenbremse festhalten.
SPIEGEL: Bedauern Sie den Rücktritt von Nouripour und Ricarda Lang?
Nietzard: Als Frau und als junger Mensch finde ich es sehr schade, dass Ricarda jetzt zurücktritt. Aber wir schauen nach vorne und freuen uns, dass jetzt Felix Banaszak als neues ehemaliges Mitglied der Grünen Jugend nun diese Position einnimmt. Wir erwarten, dass er sich erinnert, wie wichtig die Grüne Jugend für die Grünen ist und uns dementsprechend einbezieht. Wir wollen mitmischen.
SPIEGEL: Warum sind Sie skeptisch gegenüber Franziska Brantner, der designierten Kandidatin des Realo-Flügels?
Nietzard: Franziska Brantner hat in der Vergangenheit Inhalte vertreten, die sich zu sehr an konservativen Vorstellungen und zu wenig an sozial gerechtem Klimaschutz orientieren. Noch hat sie unser Vertrauen noch nicht gewonnen.
Blasel: Der aktuelle Kurs der Grünen hat maßgeblich zu acht Wahlniederlagen infolge beigetragen und der wurde von ihr entschieden unterstützt. Das muss sich ändern.
SPIEGEL: Für CSU-Generalsekretär Huber waren Ihre Hunde-Zitate ein weiterer Grund, einer schwarz-grünen Koalition eine Absage zu erteilen. Sind auch Sie gegen eine Koalition mit der Union?
Nietzard: Schwarz-Grün ist ein Traum Konservativer und ein Albtraum für die zukünftigen Generationen. Die Union steht nicht für eine menschenwürdige Politik. Ich sehe da kaum Schnittmengen. Wir wollen eine Regierung, die das Leben der Menschen verbessert und das ist mit der CDU nicht zu machen. Ob Frauenrechte, Kinderrechte oder Selbstbestimmung. Alles, was die CDU kann, ist Fortschritt verweigern.
Blasel: Und mit der CSU bekommt man nicht einmal eine seriöse Regierung. Ich wünsche mir eine Regierung, mit der man ernsthaft über Themen diskutieren kann. Es ist doch lächerlich, wenn ich als Vertreter einer Jugendorganisation Martin Huber zu mehr politischer Seriosität aufrufen muss. Eigentlich waren wir mal die Hampelmänner.
Deutschland braucht Vieles aber sicherlich keine Regierungsbeteiligung im Bund von Grün für mal mindestens die nächsten 8 bis 12 Jahre.