"Tötung von Frauen und Strafrecht
Einige Klarstellungen zum Begriff des Femizids
Der sogenannte Femizid gilt seit einiger Zeit als verkanntes oder verleugnetes Verbrechen. Diese Behauptung ist überwiegend falsch. Sie prägt ein vermeintlich progressives, tatsächlich aber rückschrittliches Narrativ.
Am 20. Juni veröffentlichte die »Süddeutsche Zeitung« einen ganzseitigen Text mit dem Titel »Vor aller Augen«. Der Untertitel lautete:
»Dass ein Mann eine Frau tötet, die er mal geliebt hat, passiert in dieser Welt ständig. Unvorstellbar, dass Teile der Gesellschaft Femizide trotzdem nicht als Problem sehen.«
Erzählt wurde (bebildert mit einem Foto des Angeklagten mit einem Aktendeckel vor dem Gesicht) unter diesen Zeilen von einer vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Würzburg laufenden Hauptverhandlung: Der Angeklagte wird beschuldigt, seine ehemalige Partnerin vorsätzlich getötet zu haben, weil er die Trennung nicht akzeptieren wollte. Er bestreitet die Tötung als solche nicht, behauptet aber, sich in einer Notwehrsituation befunden und den Tod unvorsätzlich verursacht zu haben. Mit dieser Erkenntnislage endet der Bericht. Was das Gericht festgestellt hat, erfährt der Leser nicht, stattdessen erlangt er inzident Kenntnis davon, wie der Reporter entscheiden würde, wenn er es denn dürfte. Vor welchen »allen Augen« sich was zutrug, bleibt unerschlossen.
Diese Behauptungslage reichte jedenfalls für die aus zahllosen Veröffentlichungen und Statements vertraute (sinngemäß) bittere Beschwerde aus, Femizide würden in Deutschland aufgrund struktureller Erkenntnisdefizite als sogenannte Beziehungstaten oder Familiendramen »verharmlost«, von Teilen der Gesellschaft nicht als Problem angesehen und im Ergebnis zu milde bestraft. Das spiegelt sich etwa in der auf der Plattform Campact laufenden, an die Bundesjustizministerin und die Bundesfrauenministerin gerichteten Onlinepetition »Femizide in Deutschland stoppen«. Sie fordert:
»Trennungstötungen müssen als Femizide anerkannt werden. Die vermeintlichen Besitzansprüche an Frauen dürfen nicht durch die deutsche Rechtsprechung legitimiert werden, indem sie sich strafmildernd auswirken«,
und führt dazu aus:
»(Die Istanbul-Konvention des Europarats vom 11. Mai 2011) fordert ausdrücklich, dass Gewalt gegen Frauen unabhängig von der Art der Täter-Opfer-Beziehung zu ahnden ist und Gewalt gegen einen ehemaligen Partner*in sich strenger auf das Strafmaß auswirkt [Art. 43 und 46a, 5]. Der Bundesgerichtshof entscheidet also in direktem Widerspruch dazu (…) Die Rechtslage bleibt problematisch, da es im deutschen Recht bisher keine juristische Definition der geschlechtsspezifischen Tötung einer Frau gibt; der Begriff Femizid wird im Gesetz bislang weder benannt noch definiert.«
Das ist ganz überwiegend falsch.
Art. 43 der Konvention lautet:
»Die nach diesem Übereinkommen umschriebenen Straftaten finden unabhängig von der Art der Täter-Opfer-Beziehung Anwendung.«
Und Art. 46:
»Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die folgenden Umstände, soweit sie nicht bereits Tatbestandsmerkmale darstellen, im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des internen Rechts (…) als erschwerend berücksichtigt werden können:
a) Die Straftat wurde gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin im Sinne des internen Rechts beziehungsweise gegen einen früheren oder derzeitigen Ehemann oder Partner im Sinne des internen Rechts oder von einem Familienmitglied, einer mit dem Opfer zusammenlebenden Person oder einer ihre Autoritätsstellung missbrauchenden Person begangen (…)«
Die Konvention verlangt also ausdrücklich eine unabhängig (!) von der Täter-Opfer-Beziehung vorzunehmende Tatbewertung. Wie man daraus schließen kann, für die tatbestandliche Bewertung komme es entscheidend gerade auf eine solche Beziehung an, entzieht sich meinem Verständnis.
Entsprechende Forderungen sind populär. Die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder und des Bundes (JuMiKo) hat im Juni auf Antrag Niedersachsens beschlossen, die Bundesjustizministerin aufzufordern, die Einführung eines neuen, »Femizid«-spezifischen Mordmerkmals zu prüfen.
Ahnliches ist im Koalitionsvertrag ausgeführt:
»(Wir) verbessern den strafrechtlichen Schutz von Frauen und besonders verletzlichen Personen wie Kindern, gebrechlichen Menschen und Menschen mit Behinderung durch ein neues Qualifikationsmerkmal bei den Tatbeständen von Mord und prüfen dies bei gefährlicher Körperverletzung und schwerem Raub.«
(Zeilen 2918 bis 2921, im Abschnitt »Familienrecht«)
Statistik und Ideologie
Deutschland hat ungefähr 82 Millionen Einwohner. Davon sind ungefähr 41,8 Millionen weiblichen Geschlechts. Im Jahr 2023 hat die Polizei 360 vollendete (und etwa 600 versuchte) Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen registriert. Davon waren 247 vollendete Taten in die Rubrik »Häusliche Gewalt« eingeordnet. Dieser Begriff umfasst nach der kriminologischen
Definition des BKA
»sowohl innerfamiliäre Gewalt als auch Partnerschaftsgewalt, unabhängig davon, ob das Opfer und die tatverdächtige Person zusammenwohnen«.
(BKA, Bundeslagebild »Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023«, siehe dazu schon die Kolumne vom 7. Dezember 2024)
Aus den Ergebnissen des BKA-Berichts machte das Bundesfrauenministerium die Feststellung:
»Demnach gab es 2023 beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland.«
Und die Bundesinnenministerin teilte mit:
»Fast jeden Tag sehen wir einen Femizid in Deutschland.«
Tatsächlich ist diese vielfach unkritisch abgeschriebene Behauptung, »fast jeden Tag« (nämlich in 360 Fällen im Jahr) werde in Deutschland eine Frau von einem aktuellen oder früheren (unterstellt: männlichen) Partner getötet, mindestens sehr ungenau. Denn es fehlt schon eine Erklärung für die Differenz zwischen den »häuslichen« (im genannten Sinn) und den »sonstigen« Tötungsdelikten; und bei den »häuslichen« bleibt das Verhältnis von »Partnerschafts-« zu »familiären« Tötungen unklar. Auch wenn der statistische Anteil klein beziehungsweise unbekannt ist: Auch Töchter oder Söhne töten Mütter, Mütter töten Töchter, Schwestern töten Schwestern und Tanten Nichten.
Es ist also hier wie stets bei der Diskussion und Bewertung von statistischen Daten: Sie widerspiegeln die Struktur, die Voraussetzungen und Bewertungen ihrer Erhebung. Anders gesagt: Man bekommt statistisch aus der Lebenswirklichkeit nicht mehr Erkenntnisse heraus, als man hineinfragt. Gefahren für die öffentliche Wahrnehmung können namentlich an zwei Stellen lauern: Die eine ist eine mehr oder minder tendenziöse Konzeption der Erhebung selbst (etwa im Bereich der Fragestellung, Kategorisierung, Erhebungsparameter); die andere eine tendenziöse Fehl- oder Überinterpretation durch wie auch immer interessierte Kreise, Institutionen oder Personen.
Es wird also mit der Autorität wissenschaftlicher Akribie in zwei Schritten ein beinahe beliebig instrumentalisierbares Narrativ hergestellt, welches dann wiederum, je nach Bedarf, zur Grundlage weiterer Bewertungen, Schlussfolgerungen oder Spekulationen gemacht werden kann: Der erste Schritt ist die – nicht selten partei- oder karrierepolitisch gesteuerte – Usurpation von empirischen Daten für eigene tendenziöse Interpretationen.
Der BKA-Hinweis:
»Zum einen fehlt bislang eine bundeseinheitliche Definition von Femiziden, zum anderen ist auf Basis der PKS-Daten nur eine Annäherung an die tatsächliche Anzahl … möglich« wird zu »360 Femizide im Jahr«. Der zweite Schritt ist die medienspezifische Wiedergabe dieser Usurpation in selektiven Informationen für die durch genaue Analyse vermeintlich überforderten Nachrichtenkonsumenten.
Femizide sind im allgemeinen Verständnis Tötungsdelikte gegen Frauen, die getötet werden, weil sie Frauen sind. Der Täter wird von der Annahme einer geschlechtsbezogenen Ungleichwertigkeit von Frauen zu seiner Tat motiviert.
Man kann dabei unterscheiden zwischen Taten aus Frauenhass, Trennungstötungen und solchen Taten, die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Subkulturen verübt werden. Es handelt sich also nicht um einen strafrechtlichen, sondern um einen kriminologischen Begriff, ähnlich »Infantizid« (Kindstötung), »Androzid« (Männertötung), »Terrorismus« oder »Organisierte Kriminalität«: eine politisch-soziologische Umschreibung einer bestimmten Tatmodalität oder -Motivation. Als solche ist sie weder falsch noch sinnlos, sondern erlaubt die verstehende Erfassung einer bestimmten Fallgruppe von Tötungsdelikten.
Rechtslage
Hieraus abzuleiten, Taten des »Femizids« seien in Deutschland nicht »anerkannt« oder würden von der Rechtsprechung »verharmlost«, ist allerdings Unsinn; es vermischt ganz unterschiedliche Gesichtspunkte. Tatsache ist, dass der Begriff »Femizid« kein Tatbestandsmerkmal im Sinne des materiellen Strafrechts und des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) ist. Das heißt aber natürlich nicht, dass diese Taten nicht vom geltenden Recht erfasst werden. Es gibt – beispielhaft – auch keinen Straftatbestand »Vandalismus«, trotzdem sind solche Taten natürlich strafbar (als Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch usw.).
Die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen ist in § 212 StGB mit Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren bedroht, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren (§ 213 StGB). Unter bestimmten Umständen, wenn eines der im Gesetz genannten »Mord-Merkmale« vorliegt, ist die Tat »qualifiziert« und heißt dann »Mord« (§ 211 StGB). Die Strafdrohung dafür ist – ohne Ausnahme – lebenslange Freiheitsstrafe. Einen »minder schweren Fall des Mordes« gibt es nicht.
Eines der neun gesetzlichen Merkmale, die eine vorsätzliche Tötung zum »Mord« machen, ist das Merkmal der »niedrigen Beweggründe«. Dazu gibt es eine lang zurückreichende und differenzierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Nach meiner eigenen 35-jährigen Erfahrung – unter anderem als Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer – machen Tötungen aus »Eifersucht« oder aus der Motivation, Trennungen nicht akzeptieren zu wollen, schätzungsweise 60 Prozent der Fälle »niedriger Beweggründe« aus. Andere Fallgruppen sind rassistische, antisemitische und allgemein menschenfeindliche und verachtenswerte Motive. Nicht selten kommt zum Merkmal der niedrigen Beweggründe noch das Merkmal der »Heimtücke« hinzu. Dann, aber auch bei besonders brutalen Taten, liegt die Annahme »besonders schwerer Schuld« nahe.
Die Strafe ist in all diesen Fällen die lebenslange Freiheitsstrafe; eine Milderung gibt es da nicht. Der BGH akzeptiert nur in Ausnahmefällen, wenn (nachvollziehbare) Gesichtspunkte der Verzweiflung die Motivationslage bestimmen, die Nichtanwendung des Mord-Tatbestands. Bei Tötungen mit dem Ziel, angebliche »Rechte« nicht aufgeben zu wollen, Macht zu demonstrieren und das Opfer zu »bestrafen«, kommt das praktisch nicht vor.
Eine grobe Verkennung schließlich ist der Vorwurf, die Bezeichnung solcher Taten als »Beziehungstaten« oder »Familiendrama« stelle eine entschuldigende Verharmlosung dar. Zum einen sind diese Begriffe ebenfalls keine strafrechtlichen: »Beziehungstat« ist wiederum ein kriminologischer Begriff«, »Familiendrama« ein feuilletonistischer. Beide haben ihren Sinn, spielen aber für die strafrechtliche Bewertung überhaupt keine Rolle. Im Strafrecht geht es um gesetzlich bestimmte Tatbestände, nicht um starke Worte.
Zum anderen ist eine Eifersuchts- oder Trennungstötung selbstverständlich eine »Beziehungstat«; das macht sie nicht besser. Und die Ermordung eines Kindes durch einen Elternteil wird man als »Familiendrama« bezeichnen dürfen; auch dies ändert ja an der rechtlichen Bewertung nichts.
Sogenannte Femizide als gesetzlichen Tatbestand einzuführen, würde daher nicht zu einer inhaltlichen Erweiterung der Tötungs-Tatbestände führen, sondern nur zu einer sinnlosen Verdopplung eines bereits geregelten Mordmerkmals. Außerdem wäre gänzlich unerklärlich, warum dann nicht auch andere Opfergruppen (zum Beispiel Kinder) gesondert aufgezählt werden sollten. Das vorgeschlagene Merkmal »Ausnutzung körperlicher Überlegenheit« wiederum wäre unspezifisch und ungeeignet. Die Initiative zur Ergänzung der Mordmerkmale ist reine Symbolpolitik.
Bester Mann der Fischer... endlich bringt da einer tatsächlich etwas ins Dunkel der "ideologischen Kampfbegriffe" zum Thema des sogenannte "Femizid"