"Der Koalitionsvertrag hat ein revolutionäres Geheimnis
Wenn die Regierung ihren Vertrag ernst nimmt, werden Sozialstaat, NGO-Industrie und Subventionen umfassend auf Sinn und Nutzen geprüft. Endlich!
Während viele noch nach dem Plan suchen, dem das Verhalten des US-Präsidenten folgt, habe ich das vorerst aufgegeben. Der Mann im Weißen Haus sieht am ehesten aus wie ein Fall für die Männer mit den weißen Jacken, tut mir leid.
Wenn man eine pathologisierende Schablone über seine ersten zweieinhalb Monate legt, passt plötzlich vieles besser zusammen: etwa, sich in Schüben in den eigenen Fuß zu schießen. Nein, während die anderen sich an Trump und seinen somnambulen Duschkopf-Fantasien (Make America’s showers great again) abarbeiten, will ich in ein anderes Bergwerk kriechen, den neuen Koalitionsvertrag . Und sage: schlimmer Verdacht - Konservative doch smarter als gedacht.
Was da geschrieben steht, ist eine Handlungsanweisung von revolutionärer Vernunft rechts der Mitte, aber ohne Kettensägen-Blödsinn. In Zeile 1629 etwa: »Eine Überprüfung aller staatlich übernommenen Aufgaben hinsichtlich ihrer Notwendigkeit erachten wir als zwingend.« Oder Zeile 1639: »Alle Subventionen werden wir einer eingehenden Prüfung unterziehen.« Oder 1644: »Wir wollen alle Förderprogramme auf ihre Zielgerichtetheit und Wirksamkeit hin überprüfen.« Und: »Wir setzen eine Kommission zur Sozialstaatsreform (…) ein, die innerhalb des vierten Quartals 2025 ein Ergebnis präsentiert. Die Kommission soll auf diesem Wege die Wirksamkeit und Effizienz sozialstaatlicher Leistungen prüfen.« (Zeile 462).
Wirksamkeit und Effizienz in einem Atemzug mit Subventionen und Sozialstaat und seinen 173 Leistungen – das habe ich lange nicht gehört. Das ist Musik, aber eben nicht Musk. Hinter den Kettensägen-Hallodris aus Argentinien oder den USA haben sich hierzulande all jene viel zu lange versteckt, die jede Veränderung am Sozialstaat als einen Frontalangriff auf Zusammenhalt und Demokratie diffamieren.
In Zeile 532 die nächste kleine Retro-Revolution. Der Sozialstaat lernt wieder, das Wort ›Bedürftigkeit‹' zu buchstabieren. Und das Wort ›Arbeit‹.'. Da heißt es: »Der besondere Fokus der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter liegt auf der Vermittlung von Menschen in Erwerbsarbeit. Wir werden alle bisherigen Instrumente und Strukturen der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter auf ihre Wirksamkeit prüfen und anpassen.«
Das meint auch die Weiterbildungs-Branche, die in den letzten Jahren jeweils um die sieben Milliarden Euro verstoffwechselt hat, leider bei stetig sinkendem Vermittlungserfolg. Endlich möchte da jemand in die Bücher sehen. Und wenn wir schon dabei sind: »Wir werden dazu alle nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit prüfen.« (Zeile 483). Dazu könnte u.a. die (Dokumentations-)Pflicht gehören, Bauarbeiter arbeitgeberseitig in der richtigen Verwendung von Sonnencreme zu unterweisen.
Glockenhell geht es weiter. Flüchtlinge aus der Ukraine sollen ab dem 1. April »wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sofern sie bedürftig sind. Die Bedürftigkeit muss durch konsequente und bundesweit einheitliche Vermögensprüfungen nachgewiesen werden.« (Zeile 3102). Das ich das noch erleben darf: ›Bedürftigkeit‹', das ist das Wort, das über Jahre immer weiter unterbelichtet wurde in der sozialstaatlichen Vollzugspraxis. Weil es angeblich ein bösartiges Gefälle zwischen dem Sozialstaat und dem (zeitweiligen) Bezieher von Leistungen markiere. Von »Bringschuld« des Staates statt »Holschuld« des Empfängers wurde links der Mitte gern geschwurbelt. Das alle blind bedienende Gießkannenprinzip hielt man für gerecht, statt die Not der Bedürftigen gezielt zu bekämpfen.
Aus dem 551 Spiegelstriche langen Fragen-Tourette zu den NGOs mit gesellschaftlichem Hilfs- oder Bildungsanspruch ist in Zeile 3305 das größte geblieben: das Bundesprogramm »Demokratie leben!«, das über die jüngst beschlossene, gesamte Laufzeit mehr als eine Milliarde Euro verteilt. Nun heißt es: »Wir werden eine unabhängige Überprüfung dieses Programms in Bezug auf Zielerreichung und Wirkung veranlassen.« Was will man mehr, als zu wissen, was das ganze Geld für die Demokratie und den Zusammenhalt der Demokraten kauft? Ich wette, es ist viel Gutes. Aber eben auch anderes. Und das braucht kein Mensch.
Ähnlich wird das Gesetz über Selbstbestimmung und Geschlechtseintrag bis Mitte 2026 einer Prüfung unterzogen, das Gesetz zur Cannabislegalisierung bis zum Herbst 2025, die Rentenformel »bis zur Mitte der Legislatur« und die Flächenziele für Windkrafträder auch noch. Ach ja, dann kommt noch die Überprüfung des Verbrenner-Aus', die nicht im Koalitionsvertrag steht. Aber ich denke: Die EU-Kommission schlägt bis Ende 2025 vor, es zu kippen. Die Bundesregierung wird dagegen keinen Einspruch erheben. Und ich wette, Friedrich Merz weiß das alles schon.
Die SPD ist mit den Prüfaufträgen auch gut bedient: Nach dem Mitgliederentscheid kann die Parteiführung dergestalt mit der Frontbegradigung beginnen – und sich viel von dem wegprüfen lassen, was die eigenen Wähler in den Wahnsinn oder gleich zur AfD getrieben hat. Also, langer Rede kurzer Sinn. Wenn die Koalitionäre ihren Text ernst nehmen, steht uns 2025 eine mittlere Revolution der Vernunft ins Haus. Und, ja, Papier ist geduldig, und vielleicht bin ich nach all' den Jahren zu naiv. Aber der Anspruch und die Haltung sind nun in der Welt. Der gesunde Menschenverstand ist aus der Flasche.
Da ist schon was dran.. allerdings mal kann das ja noch immer alles durch die "Rote Jugend" an die Wand gefahren werden
