Hier ein Text über Bibersche Psychologie, mit Sport hat das nix zu tun, also wer dafür hier ist kann gerne bis Herbst warten, wenn ich ggf wieder logge.
Von der Essstörung zu Glück und Zufriedenheit
Am Samstag endet meine Therapie bei dick und dünn Nürnberg e.V. - Fachberatung bei Essstörungen. Diese lief nun knappe 4 Jahre. Meine letzte Fressattacke war vor 3 Jahren und 2 Monaten und ich sehe kein Szenario, in dem diese zurück kommen. Zuvor hat mich die Störung 11 Jahre begleitet, teilweise täglich, mindestens alle paar Wochen und ich fühlte mich komplett hilflos.
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Ich habe mittlerweile identifiziert, was die ursächlichen Quellen des Verhaltens waren und habe das Privileg diese wöchentlich mit einer analytischen Psychotherapie über 3.5 Jahre (bin erst bei der Halbzeit) hier in NRW behandeln zu lassen. Die Quellen schätze ich wie folgt ein und diese sind chronologisch geordnet nach Zeitpunkt der Aufarbeitung.
Ursachen
Chaos im Leben
Diät, Sport, Gewicht, Maße, Tracking waren alles Versuche Kontrolle in mein Leben zu bringen, in welchem ich keine spürte. Statt mich um die eigentlichen psychologischen und alltäglichen Probleme zu kümmern konstruierte ich mir eine Scheinwelt aus Ernährung und Sport, in die ich mich flüchtete, da ich zumindest darüber eine gewisse Kontrolle ausüben konnte.
Fehlender Selbstwert
Inhärent fühlte ich mich mein ganzes Leben wertlos und als hätte ich kein Recht zu existieren, dies war sehr tief verankert und entstammt der Kindheit, fehlender Erziehung und traumatischen Erlebnissen. Mein Weg damit umzugehen war schon immer: Leistung, Wettbewerb, Vergleichen. Mich selbst schlecht geredet vor Fremden und Freunden als Humor verkauft. Viel toxischer aber auch narzisstische Selbstüberhöhung. Andere niedermachen, beschimpfen, nur um die eigene Minderwertigkeit nicht zu spüren. Hier ging viel in der Beziehung kaputt.
Perfektionismus
Nichts war gut genug. Top 10% in allem war die Minimalanforderung. War natürlich nicht überall möglich und das machte mich wütend und generierte Selbsthass, das war über ein Jahrzehnt meine hauptsächliche Emotion. Hab doch einmal im Gym den Klimmzug Rekord gebrochen. Der vorherige waren 27, ich machte 29. Das fand ich aber unfassbar scheiße, da ich 30 Stück schaffen wollte. Das Video hab ich nie veröffentlicht, mich nie ans Rekord Board schreiben lassen, da diese Leistung nicht gut genug war.
Mangeldenken und Undankbarkeit
Egal wie gut es lief, 9 Dinge konnten mir Gelingen, ich sah nur das 1 Negative und fokussierte all meine Energie darauf. Das erzeugt Selbstmitleid und Undankbarkeit. Absoluter Quatsch als deutscher weißer Mann und Akademiker, dem es verglichen mit der Weltbevölkerung an nichts mangelt.
Einsamkeit und fehlende Bindung
Fühlte mich noch nie zugehörig, egal welcher Gruppe ich mich anschloss, empfand ich mich immer als Außenseiter, einsamer Wolf, musste alles alleine lösen. Dies löste eine existenzielle Einsamkeit aus und das menschliche Grundbedürfnis der Bindung war nicht erfüllt. Ein typischer Ausgleich dafür ist Suchtverhalten. Ein künstliches Zuhause in virtuellen Welten, oder im Drogenmilieu. Da fühlt man sich immer willkommen weil man gemeinsam suchtet.
Unfähigkeit Emotionen intern zu regulieren
Egal welches Gefühl, Wut, Trauer, Scham, Verzweiflung. Anstatt es mit eigenen Mitteln im Kopf zu identifizieren und zu verarbeiten, griff ich direkt zu Kampf oder Flucht. Meistens letzteres in Form von Vermeidung und Regulation durch externe Faktoren. Koffein, Alkohol, Drogen, Computerspiele, Fressen, Sport, Kaufen.
Status Quo
Seit 2 Jahren ohne Tracking, mittlerweile intuitivem Essen und nur noch 3-4x Sport die Woche geht es mir sehr gut. Gezockt wird nur noch selten und wenn, dann nicht als Flucht sondern um eine gute Zeit zu haben. Alkohol und Drogen nur noch sehr selten und seit 2-3 Jahren nicht mehr in problematischen Konsummustern. So einen narzisstischen Wutausbruch, den ich vorher wöchentlich hatte, gab es seit 336 Tagen nicht mehr. Gegen den Perfektionismus und das Leistungsdenken hilft mir das Pareto Prinzip (80/20 Regel) sehr und hat dazu geführt dass ich dicker und schwächer geworden bin aber viel mehr mentale und körperliche Kapazitäten für andere Ausgleiche frei habe. Mittlerweile spüre ich sehr viel Dankbarkeit für meine schöne Wohnung, mein Support System, meine Hand voll Freunde, dass ich Geld auf dem Konto habe, eine Arbeit die mich erfüllt und Lebensfreude empfinde. Ganz wichtig war auch die Erkenntnis, daß es okay ist Fehler zu machen, andere zu enttäuschen und dass sie einen trotzdem noch mögen, der Selbstwert also nicht lediglich an Leistung gekoppelt wird, sondern ich mit mir selbst, meinen Schwächen im Reinen bin. Erst wenn man diese akzeptiert und annimmt, statt zu überkompensieren oder zu vermeiden, kann man effektiv an ihnen arbeiten oder aber sie einfach erst mal hinnehmen.
Work in Progress
Alles ist aber auch nicht rosig. Trinke viel zu viel Kaffee seit ich Softdrinks abgesetzt habe. Insbesondere die interne emotionale Regulation ohne Einflüsse von Außen wie Konsum und Kaufen, Ablenkung fällt mir noch schwer. Das übe ich mittlerweile indem ich häufig auf Podcasts und Musik verzichte und mit meinen Gedanken alleine in Stille bin. Und auch soziale Bindung aufzubauen ist gerade eine neue Aufgabe, da ich mich in NRW nie um Freunde bemüht habe. Dafür habe ich nun ein analoges Tracking eingebaut in welchem ich Sozialkontakt logge. Hab mich getraut jemanden in der Öffentlichkeit anzusprechen, wir schreiben jeden Tag und treffen uns morgen ein erstes Mal
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